Die
Tankstelle der Verdammten |
Meine
Absicht ist, ein Musiktheater zu machen, in dem sich
Leute, die Geschmack haben und die nicht ganz blöd
sind, gut unterhalten können, intelligent, aber ohne
Zeigefinger. Es gibt ganz wenig in dieser Art in Deutschland.
Unsere Großväter haben ja die Operetten gehabt. Die Fledermaus war
damals einfach ein freches Stück, und die Leute laufen
heute immer noch rein, obwohl es keine Aktualität mehr
hat. Es muß doch möglich sein, daß wir eine Gattung
finden, wo wir uns irgendwie aufgehoben fühlen. |

CD
erschienen 1995
bei
Rough Trade Records GmbH / Our Choice
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Das
Musiktheaterstück
"Die
Tankstelle der Verdammten"
wurde
am 30. Dezember 1994 vom Schauspiel Köln in der
alten Fabrikhalle Kalk uraufgeführt. Ringsgwandl
gab dem Stück den Untertiltel
"Lausige
Operette in neun Bildern"
-
er meint es als selbstironische Einstufung, "weil
ich wollte, daß man das von irgendwelchen Sinnbeladungen
freihält".
Hörbeispiel:
Der
verrückte Chromosom, RealAudio
(2min
56sek, 2,242 MB)

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1.
Currywurst
2. Gesäächt
3. Feine Herrn
4. Edle, schwere Limousinen
5. Obercool
6. Die Möbelpacker
7. Die Alte
8. Die Macht der Gene
9. Der verrückte Chromosom
10. Krattlerschicksal
11. Kein Held
12. Der Rausch
13. Versiff doch gleich...
14. Nicht die Art von Frau
15. Hey, John
16. Soziale Ratte
17. Tanktypologie
18. London, Tokyo, LA
19. Gesang der Kellerasseln
20. Die alten Rocknroller
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Inszenierungen
bisher:
- Schauspiel
Köln (Uraufführung 31.12.'94)
- Uni
Paderborn
- Mecklenburgisches
Landestheater
- Volksoper
Wien
- Theater
der Stadt Essen
- Münchner
Kammerspiele
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Inhalt |
Ort
des Geschehens: Eine
heruntergekommene Tankstelle neben einem Abbruchgelände
ist Kneipe und Lebensmittelpunkt für ein paar Typen,
denen es immer irgendwo naß reingeht. Im Tankstellenhäuschen
betreibt Tino einen Imbiß, auf dem Platz davor wird
an alten Maschinen herumgeschraubt. Vorstadtrocknroller,
ausrangierte Testfahrer und andere Helden vom Rande
der Gesellschaft philosophieren über Motoren, Fußball
und die Weltlage im allgemeinen.
Das
Personal:
- Chuck,
ein abgehalfterter Vorstadtrocknroller, immer wieder
vor dem großen
Durchbruch
- Frau
Dreher, seine krätzige Mutter, die sich hin und
wieder in eine schrille...Fee verwandelt
- Angie, Chucks Freundin,
eine junge Bedienung
- Tino,
Chucks Freund, macht die Imbißbude und war früher
angeblich mal Testfahrer
- Dr.
Prittwitz, Pächter der Tankstelle, ein zwielichtiger
Anwalt und dessen ...
- Rollkommando
- die
Band, ein paar Typen, die im Tankstellenhäuschen
herumsitzen und Musik machen
Die
Geschichte: Chuck
ist immer vor dem großen Durchbruch und ständig pleite. Angie
verehrt ihn dennoch als kommenden Rocknroll-Helden.
Die beiden wohnen mit ihrem Kind und Chucks Sohn aus
erster Ehe in einer Wohnung, die eigentlich Chucks
Mutter zusteht, was Angie natürlich nicht weiß. Eines
Tages kommt die Mutter zurück und will wieder in ihre
Wohnung.
Angies Lebenstraumbröckelt, sie ist enttäuscht. Sie hat sich das Leben mit einem
Rockstar anders vorgestellt. Sie will auch nicht zu fünft in zwei Zimmern hausen.
Prittwitz, der mit Chuck noch eine Rechnung offen hat, sieht die Gelegenheit
und macht sich an Angie heran. Sie ist nicht abgeneigt,
weil er nach
Geld und
Prestige aussieht.
Das gibt Krieg mit Chuck und am Ende einen wildwest-science-fiction Showdown
mit Explosionen und Schießereien.
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Woher die Geschichte der Tankstelle
kommt |
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Die
Figur des Chuck: Die Figur
des "Chuck" im Stück hält sich ziemlich originalgetreu
an Jacques D., der Mitte der sechziger Jahre seinen Job
als Kundendiensttechniker für Spielautomaten aufgab,
weil er als Gitarrist bei einer Rocknrollband mehr verdiente.
Damals gab es noch viele Tanzcafés und -bars. Die Band
war gut beschäftigt. Es gab keinen Laden zwischen Dachau,
Karlsfeld und München, den sie nicht kannte. Sie spielten
natürlich den normalen Rocknroll und Beat, aber auch
die wichtigsten volkstümlichen Tanznummern (Schneewalzer,
Pinke-Pinke usw.). Zum Teil kamen sie bis in die Erdinger
Gegend hinaus. Mitte der siebziger Jahre kam die erste
Diskowelle, und die Bands waren fast alle arbeitslos.
Damals begann Chuck mit seiner Band, jeden Donnerstag
im Rubin Club in Karlsfeld einen Rocknrollabend zu geben.
Nach ein paar Jahren Anlaufzeit war der Donnerstagabend
in Karlsfeld der Geheimtip der Münchner In-Szene. Irgendwann
kamen dann auch die Journalisten und schrieben über ein
Rocknroll-Revival, so daß die Band ziemlich berühmt
wurde. Einmal spielte sie als Vorgruppe bei der Deutschlandtournee
der Bay City Rollers.
Die Band verdiente satt und übernahm den Rubin Club in Karlsfeld. Jeder in der
Band war Geschäftsführer. Verträge usw. unterzeichnete allerdings Chuck alleine.
Es war der Laden, wo man hinging, bumsvoll von Montag bis Sonntag, die
Umsätze waren gewaltig. Die Frauen der Musiker luden großzügig ihre Freunde ein,
Schampus wurde das Standardgetränk. Ein Teil des Tresens war reserviert tut die
Zuhälter und Gebrauchtwagenhändler des Münchner Nordens. Es war nichts Besonderes,
daß der Sänger zwischen zwei Musiksets eine Frau im Stehen an der Wand in der
Küche vögelte. Chucks Bruder Ivo spielte Baß und fuhr ein Achtzylinder Chevrolet
Cabrio, der Begleitgitarrist eine schwarze Corvette Stingray. Der Schlagzeuger
eröffnete ein Management-Büro und stellte ein junges Model als Sekretärin ein.
Die Bedienungen machten gemeinsame Sache mit dem Tresenkellner und wirtschafteten
in die eigene Tasche, nachts nahm das Personal flaschenweise Sekt mit nach Hause. Als
der Rubin Club pleite ging, blieb Chuck mit 70.000 Mark hängen, weil er fast
alles unterschrieben hatte und verzog sich für ein Jahr nach Mexiko. Seine Frau,
eine überdrehte Sekretärin und GoGo-Tänzerin, hatte damals ein Verhältnis mit
einem polytoxikomanen Amerikaner, der an einem Abend den ganzen Sack Homegrown
wegrauchte, der den Winter hätte reichen sollen, und dann ins Bad ging und alle
Medikamente aus dem Alibert einwarf, darunter eine Dreimonatspackung Pille. Später
ging sie mit ihrem Sohn Davy ein Jahr nach Asien.
Als sie vor zwei Jahren zurückkam, hatte sie ein weiteres Kind von einem französischen
Freak und gab Davy zu Chuck. Chuck war pleite und wohnte wieder bei seiner Mutter,
die damals knapp 70 war. Nachts nach vier putzte er die Diskothek seines Bruders
Ivo, tagsüber arbeitete er als Ausfahrer für eine Laborfirma. Die Mutter zog
zu Ivo aufs Land und kümmerte sich um den Haushalt und die zwei Enkel dort.
Chuck zog wieder eine Band auf, die Oldies spielte und jeden Monat einige Jobs
in Diskotheken hatte. Bei einem Gig lernte er Angie kennen, die dort in einem
Wirtshaus bediente. Sie war 1,78 groß, sehr attraktiv gebaut und trug fast nur
handbreite Miniröcke. Drei Monate später wurde sie schwanger und zog zu Chuck
und Davy in die Wohnung.
Vier Monate, nachdem ihr Kind geboren war, rief eine Frau an und sagte, sie
habe ein dreijähriges Kind von Chuck. Chuck habe jetzt ja wieder Jobs als Musiker
und sie wolle Alimente. Für Chuck war das hart, weil er ja auch noch für einen
anderen Sohn zahlen mußte, der mittlerweile 16 war und den er noch nie gesehen
hatte. Es lief alles relativ gut, bis eines Tages Chucks Mutter, Frau D., ohne
Vorankündigung in der Tür stand und in ihre Wohnung zurück wollte. Was war geschehen?
Das Haus von Chucks Bruder Ivo war an diesem Morgen zwangsgeräumt worden, weil
Ivo mit seiner Diskothek seit Monaten in den roten Zahlen war und seit einem
Jahr keine Miete gezahlt hatte. Sechs Wochen bevor das Haus geräumt wurde, war
Ivos damalige Frau mit einem jugoslawischen Tanzmusiker nach Trier verschwunden
und hinterließ ihm den fünfjährigen Sohn und 150.000 Mark Schulden, für die
Ivo unterschrieben hatte.
Die
Figur des Tino: Tino
traf ich im November 1989, als wir nach einem Konzert
im Schwabinger "Peron" abstürzten. Dabei
waren Chuck und ich. Unser Keyboarder mußte schon früher
heim, weil er kränkelte. Es muß schon in den frühen
Morgenstunden gewesen sein, als Chuck, der links von
mir am Tresen stand, der Bedienung sagte, sie sei die
Liebe seines Lebens: "Du wärst die richtige Frau
gewesen für mich." Etwa gleichzeitig weihte mich
Tino in die rauhen, aber auch schönen Seiten seines
richtigen Berufs ein: Den Tresen im "Peron",
sagte er mir, mache er nur aushilfsweise. Sein eigentlicher
Beruf sei Motorradtestfahrer bei BMW. Der normale Mensch.
Meinte er, mache sich überhaupt keinen Begriff davon,
wie hart der Job eines Testfahrers sei. Die meisten
denken sich, das sei ein dufter Job, wie Autorennfahrer
oder Modefotograf, aber in Wirklichkeit ist das eisenhartes
Business.
Wenn er um 7 in die Werkstatt reinkam, stand der Chef
meistens schon da mit einer Testmaschine, an der rumgebaut
worden war, zig Messgeräte dran, und das Teil
derartig beschissen zu fahren und draußen saukalt. "dann hieß es: 'Tino,
wir brauchen heute 2000 Test-km auf den Bock, bretter rauf nach Hamburg.' Okay,
dann bin ich los, bei jedem Wetter. Hoch über Nürnberg und Würzburg, runter dann über
Bremen, Köln und die Loreley, und wenn ich gut drauf war, hab ich noch eine Runde
durch den Schwarzwald gedreht. Wir sind so scharf gefahren, daß wir in den Kurven
mit dem Pedal dauernd am Boden waren. Da hast du nur einen Funkenregen gesehen.
Wenn wir am Abend in die Werkstatt reinfuhren, waren die Pedale halb weg, es
war die Härte, wir sind praktisch nur gesäächt."
Seitdem hat er es mit den Nieren, das sei eben der Preis. Deshalb ist er zur
Zeit bei BMW im Ersatzteillager. Als Beweis zeigte er mir eine Visitenkarte.
Wie
ich auf Prittwitz kam: Meine
erste Platte nahmen wir nördlich von Altötting bei
einer Land-WG auf, die in einem verrotteten Bauernhof
hauste. Ein netter bekannter hatte mich mit dem versprechen
dorthin gelockt, die Platte zu produzieren. Als wir
mit den Aufnahmen begannen, stellte sich heraus, daß wir
alles selbst machen mußten. Er ließ sich jeden Tag
nur einmal kurz blicken, in Begleitung einer alleinerziehenden
Mutter, die bei Modeschauen ländlicher Kaufhäuser auftrat. "Plattenproduktion" war
sein Alibi für die morgendlichen Verhöre durch die
Ehefrau. Wir bastelten die Aufnahmen also ohne Produzent,
dafür aber in der Gesellschaft einer Million munterer
Fliegen, welche den notdürftig zum Stall umgeheimwerkerten
Stall frequentierten.
Ein paar Jahre später, als sich die Platte bescheiden verkauft hatte, meldete
sich der "Produzent" wieder und wollte Geld. Zuerst dachte ich noch,
daß läßt sich gesprächsweise regeln. Einige tage darauf traf jedoch ein scharf
formulierter Brief ein, aus einer Anwaltssozietät mit 60% Adelstiteln im Briefkopf.
Ich wollte mich mit den Leuten schon fast anlegen, als mir ein Freund einen Tip
gab, gerade noch rechtzeitig, wie ich heute sagen kann: Er riet mir von der Auseinandersetzung
ab, weil zwei Anwälte dieser Kanzlei bereits Prozesse wegen Auftragsmord am Hals
hatten, allerdings ohne Konsequenzen, weil den Herren von Soundso nichts zu beweisen
war.
Der "Produzent" ist mit 44 verblichen. Nach seinem Tod erfuhr ich,
daß er verschiedene Hobbies hatte: ein bißchen Koksdealerei, Handel mit defekten
Gebrauchtwagen, getürkte Autodiebstähle und andere Versicherungsschwindeleien,
also durchweg nichts Kapitales, möchte fast sagen, nur Kavaliersdelikte.
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