Es
ist 8.30 Uhr, und auf Sylt ist die Welt nicht mehr
in Ordnung. Die "Gartennazi"-Affäre um
Liedermacher Reinhard Mey - nun wollen es ihm die
Nachbarn auf der feinen Urlauberinsel zeigen. Mey
hatte sie in einem offenen Brief als "Gartennazis" bezeichnet,
weil sie ihn beim Komponieren ständig mit Rasenmäherlärm
stören würden. "In schwarzen Shorts und Pulli
kommt Reinhard Mey, hat sich beim Bäcker Brötchen
und BILD gekauft." (BILD, 14. August)
Reinhard
Mey nimmt die Gitarre vom Gepäckträger und singt:
Er schloß die Türe hinter sich / Hängte Hut und Mantel
in den Schrank, fein säuberlich / Setzte sich, "na,
woll'n wir erst mal sehn, was in der Zeitung steht!" /
Und da stand es fett auf Seite zwei: / "Gartennazis!
Reinhard Mey!" / Er las den Text, und ihm war
sofort klar / Eine Verwechslung, nein, da war kein
Wort von wahr / Aber, wie kann etwas erlogen sein,
was in der Zeitung steht? (Er legt die Gitarre in
den Sandkasten.) Seit einer Woche suchen wir Erholung
in unsrem Ferienparadies - vergeblich! In dieser
Zeit waren jeden Tag um uns herum die Gartennazis
mit schwerem Gerät und unter Höllenlärm-Entwicklung
damit beschäftigt, auf handtuchgroßen Grundstücken
kleinen, unschuldigen Grashalmen den Garaus zu machen.
Vor
Meys Haus eine Ansammlung aus Bürgervertretern, BILD-Lesern,
BILD-Schreibern, Fotografen, Gärtnern, Geldgesocks.
BILD-Leser
Günter Schullenberg: Laute Nachbarn als "Gartennazis" zu
bezeichnen ist eine nicht hinnehmbare Verharmlosung
der Nazis des Dritten Reiches.
Mey:
Das ist eine Wortschöpfung des Kabarettisten Georg
Ringsgwandl für fanatische Rasenstutzer, Heckenspießer
und Halmausrotter.
Georg
Ringsgwandl: Scharf rechts hinterm Mond, / wo der
Gartennazi wohnt, / nicht mehr Stadt und noch nicht
Land, / wo der Gartennazi wohnt. / Der ständig rumschleicht,
spioniert, / die andren alle drangsaliert, / er gehört
zu dieser Art von Leut', / die mit der Nagelscher'
den Rasen schneid't.
Mey:
Es stinkt und knattert, doch die Hausbesitzer sind
gar nicht da. Ich wende mich gegen diese fanatischen
Menschen, die in ihrer Abwesenheit dafür sorgen,
daß aus ihrem Grundstück mit Flammenwerfer, elektrischem
Zweitakter und Nagelschere ein englischer Rasen oder
Golfplatz wird. Hans W. Hansen, Leiter der Ordnungsbehörde
des Amtes Landschaft Sylt: Heutige Rasenmäher sind
viel leiser als die vorgeschriebene Norm. Ein weiterer
Ortstermin bei Herrn Mey ist nicht notwendig.
Mey:
Wenn man etwas satirisch meint, muß man hierzulande
wohl eine Riesen-Leuchtschrift anknipsen. Kurioserweise
hat die Realität ja nun Dr. Ringsgwandls satirische Überspitzung
eingeholt.
Dr.
Georg Ringsgwandl: Zu dem Lied hat mich ein Nachbar
inspiriert. Zehn Tage, nachdem wir eingezogen waren,
hat er sich erschossen. Diese zehn Tage lang hab'
ich ihn nur schimpfend und Unkraut jätend erlebt.
Und wie er meiner Frau gartungsgestalterische Direktiven
erteilte. Der klingelte zwei Häuser weiter und sagte,
Entschuldigung, Sie haben ja Ihr Kaminholz im Garten
gar nicht korrekt abgedeckt, das schimmelt doch,
das geht ja nicht, ich habe zufällig ein Blech dabei,
das kommt da jatzt drauf. Eben ein Pedantenarsch,
ein gemeingefährlicher.
Mey:
Montag links von uns, Dienstag hinter uns, Mittwoch
schräg links über die Straße, Donnerstag gegenüber,
Freitag rechts über die Straße, Sonnabend rechts
neben uns und heute fangen sie links von uns wieder
von vorne an. Gleichzeitig stoßen sie zu, mit einem
4-Takt-Rasenmäher, einem 2-Takt-Kantentrimmer und
einem 2-Takt-Laubpuster, alle an der oberen Drehzahlgrenze
und mit Sicherheit jenseits aller zulässigen Lärmnormen.
Sylts
Bürgermeisterin Ruth Sönksen: In der Amtsverordnung
zum Schutz des Kurbetriebs steht unter §2, Absatz
2: Während der Ruhezeiten (13 bis 15 Uhr, 21 bis
8 Uhr) ist jeglicher Lärm verboten. Ich kann mir
nicht vorstellen, daß jemand nachts Rasen mäht.
Kurausschuß-Vorsitzender
Dirk Erdmann: Das wird doch alles nur hochgespielt.
Mey:
Ich selbst habe unserem Garten eine Schonzeit im
Sommer verordnet, und er ist wunderschön, mit blühenden
Blumen und Gräsern und Insekten und Vögelchen, die
in dieser Oase Zuflucht finden. Es gibt ästhetisch
und biologisch keine zwingende Notwendigkeit, das
Gras im Sommer am Wachsen zu hindern.
B.
u. M. Dethloff, Westerland: Sie irren: Einige Kurgästeinszenieren
regelrechte Dramen, wenn ihr mitgemieteter Garten
nicht regelmäßig gepflegt wird. Vor kurzem beschwerte
sich zum Beispiel ein Feriengast, ein Garten sei
total verkommen. Richtig war: Er wurde einen Tag
später als sonst gemäht.
Mey:
Kompromißvorschlag: Damit die Gartenpflege-Betriebe
keine Einbußen haben, finden Sie bitte einen vierwöchigen
Turnus - so wie es mit der Leerung der Mülltonnen
funktioniert -, mit dem Sie das Mähen in einem Inselort
auf einen Tag im Monat begrenzen.
Amtsvorsteher
Heinz Maurus: Gehen Sie am Strand spazieren und entspannen
Sie sich!
Mey:
Kann es sein, daß Kampen, das sich so gern als Künstlerdorf
darstellt, keins mehr ist?
Herr
Badecker: Als "St. Tropez des Nordens",
als "Worpswede an der Küste" oder als "Hiddensee
der Nordsee" nwird Kampen bezeichnet. Während
zunächst tatsächlich Maler, Schriftsteller und ein
paar Intellektuelle Kampen liebten, haben sich in
den letzten Jahrzehnten zunehmend Jet-Set und Schickeria
breitgemacht.
Moritz
Rinke: Ich komme aus dem richtigen Worpswede! Verzeihung,
Rinke mein Name: Sie kennen mich wahrscheinlich als
Schriftsteller, Dramatiker und Kanzlerspargelesser.
Aber jetzt bin ich auch noch diesjähriger Sylter
Inselschreiber. Autorinnen und Autoren hatten sich
mit einem Essay zum Thema "Das Wichtigste an
einer Insel ist das Wasser drum herum" um den
Förderpreis beworben. Das zum dritten Mal vergebene
Stipendium des Mineralwasserkonzerns Sylt-Quelle
umfaßt einen achtwöchigen Aufenthalt auf Sylt, kostenfreies
Wohnen in Rantum sowie ein Preisgeld von 5000 Euro.
Mein Beitrag überzeugte die Jury durch gekonnte Metaphorik
jenseits der gängigen Insel-Klischees.
Dr.
Georg Ringsgwandl: Man muß schon wenig Scham haben,
in Kampen zu wohnen. Bäh, da gibt es so einen spießigen
Scheißladen, erinnere ich mich, da gibt es im Grunde
NUR spießige Scheißläden, erinnere ich mich, aber
der spießigste Scheißladen, an den ich mich erinnere,
ist das Gogärtchen.
Herr
Badecker: Im legendären Gogärtchen trifft sich die
Kampener Szene nachmittags zu Kaffee und Kuchen,
abends gibt es Sylter Kost zu gehobenen Preisen.
Mathias
Rey aus Westerland: Es wäre sehr nett, wenn Sie Ihre
Heimreise mit einer Anzeige in der Sylter Rundschau
bekannt geben würden, damit wir dann einen Mähdrescher
bestellen können.
Mey:
Eigentlich hatte ich hier auf der Bank hinterm Haus
eine Verabredung mit meiner Inspiration, aber bei
dem Radau möchte sie mir doch lieber an andrer Stelle
begegnen.
Hans
W. Hansen, Leiter der Ordnungsbehörde des Amtes Landschaft
Sylt: Es gibt mehr Unternehmer, die vom Gartenbau
als von der Inspiration auf der Terrasse leben.
Über
den Zaun winkt Friede Springer: Trinken Sie einen
mit? Ich werde gerade 60 Jahre alt. Aber joggen hält
mich fit. Tag, die Herrschaften. Äh, was ich sagen
wollte, wegen der Nazi-Schose: Christian Kracht,
der Schriftsteller und gleichnamige Sohn des einstigen
Generalbevollmächtigten meines Mannes sen. selig,
dieser Christian Kracht, junior, besitzt das Copyright
für den Begriff "SPD-Nazi". Wußten Sie
das? Und wer trinkt jetzt was mit? Ich werfe ein
paar Steaks auf den Grill!
Dr.
Georg Ringsgwandl: Vor Jahren rief Mey mal im "SZ-Magazin" den
Trend "Vegetarisches Grillen" aus. Ja,
geht's denn noch? Ich weiß noch, da hab' ich damals
direkt in die Zeitschrift kotzen müssen.
Nachbarin
Katrin Lehmann: Der ist frustriert, weil er keinen
Erfolg mehr hat. Er macht einen auf grün und fährt
hier im dicken Mercedes und teuren Porsche rum.
Mey:
Ich sehe immer öfter lebendig, was tot vor mir auf
dem Teller liegt. Wenn es Lammkotelett gibt, sehe
ich Lämmchen.
Eine
Nachbarin namens "Eine Nachbarin", die,
in einem Hula-Hoop-Reifen stehend, einen gutinformierten
Kreis darstellt: Sollen wir uns Schafe halten? Dann
beschwert er sich, daß die Tiere zu laut blöken.
Jens
Hansen, mäht gerade mit einem Kantentrimmer, kopfschüttelnd
zu seinem Auffangkorb: Der ist bekloppt.
Rinke:
Wer spielt denn da so schön Klavier in Ihrem Teehaus,
werte Dame?
Friede
Springer: Das ist Mathias Döpfner. Wunderbar, nicht?
Gleich wird er meinen Rasen mähen. Mit einem Aufsitzmäher.
Bei der Fläche kommt man anders gar nicht gegen an,
gegen den Graswuchs.
BILD-Leserin
Marga Niebuhr: Statt den Rasen zu trimmen, sollten
die Nachbarn mal Reinhard Meys Lieder hören. Daraus
spricht das wahre Leben!
Mey
liefert geschmeichelt eine Kostprobe: Alles was ich
habe, ist meine Küchenschabe / Sie liegt auf meinem
Ofen, da kann sie ruhig poofen.
BILD-Leser
Wolfgang Ludewig: Denkt dieser unsympatische Liedermacher
auch mal an die ruinierten Nerven anderer Leute,
wenn sie sich im Rundfunk seine zum Teil widerlichen
Liedertexte anhören müssen?
Dr.
Georg Ringsgwandl: Ich kenne tatsächlich Leute, die
Platten von Reinhard Mey besitzen. Ich suche ja meine
Freunde nicht nach ihrer Plattensammlung aus. Und
irgendwas müssen die SPD-Wähler ja auch hören.
Friede
Springers sprechender Dobermann hechelt herbei: Mach
Platz, BILD!
BILD
macht Platz und fragt Frauchen: Ekeln Nachbarn Reinhard
Mey weg von Sylt?
"Eine
Nachbarin" bricht das Beckenkreisen ab - 25
Jahre Elvis tot! -, der Hula-Hoop-Reifen trudelt
auf den Wimbledonrasen: Dann soll der Lieder-Trottel
doch ins Watt ziehen. Da gibts kein Gras.
Hendrik
Tongers, BILD-Leser aus Langeoog: Liebe Sylter Gartenzwerge:
Mäht Mey nieder!
Friede
Springer: BILD, faß!
Rinke:
Man kann die Natur mit einer Forke vertreiben, aber
sie kehrt immer wieder zurück. Horaz.
Dr.
Georg Ringsgwandl: Den Gefallen, jetzt auf mein Gartennazi-Copyrigth
zu pochen, den tu ich dem Hansel nicht. Ich mach'
mich doch nicht zum Urheberrechtsnazi. |